[Shortstory] „Geh nach Draußen“

Haben sie gesagt

Er lag zerschmettert auf diesem alten Kanapee, dieser Art Couch-Sofa mit einer Verlängerung für die Beine, auf dem sich der Daraufliegende normalerweise entspannen kann. Jedoch war er nicht entspannt. Er hatte eine lange, exzesshafte Nacht hinter sich und summte den Song You Gotta Say Yes To Another Excess der Schweizer Elektropioniere Yello. Es ist deren drittes Album. Er blickte an die Decke und ließ Lichtblitze tanzen. Die Sonne lugte durch dieses kleine schräge Dachfenster und kündete von einem Draußen, an welchem man teilhaben sollte. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, wann immer gutes Wetter herrscht, auch hinaus zu gehen, in diese Welt, in dieses Draußen - um etwas zu erleben. Ansonsten bekommt man nämlich ein schlechtes Gefühl. Unsere Welt sagt uns, nein die Gesellschaft vielmehr, dass man bei gutem Wetter fröhlich draußen sein zu hat. Ansonsten würde man diese wirklich wichtige Zeit verschenken. Durch Nichtstun. Durch daliegen und an die Decke starren und Lichtblitze tanzen lassen.

Doch unser Protagonist hatte keinerlei schlechtes Gewissen. Er hatte sich schon vor langer Zeit von diesem gesellschaftlichen Zwang befreit. Warum auch nicht, konnte er bei schönstem Wetter auf seinem Kanapee liegen, Musik summen und vor sich hin existieren. Denn das fühlte er: nicht mehr als Existenz. Aber keine Gefühle. Keine Freude. Keine Traurigkeit. Er war leer. Verlebt eben, nach dieser orgienhaften Mondscheinsonate. 

Draußen war es windwarm, viel zu heiß für den April, es gab bereits Tage mit 25 Grad. Im Schatten. 

Der Wind wob Pigmente durch das geöffnete Fenster, die Vorboten des Sommers trugen den Duft von frischem Gras und Blumen in das Zimmer des Protagonisten. Doch ihm entlockte dies nur ein müdes Stirnrunzeln. Die Wärme des Frühlings vermischte sich mit der stickigen Luft des Zimmers, das noch immer von nächtlichen Eskapaden kündete.

Mit einem schweren Seufzen richtete er sich auf, seine Glieder schwer wie Blei. Die Sonne, die durch das Fenster schien, war ihm eher ein unerwünschter Störenfried als eine Einladung nach draußen. Sein Blick wanderte durch den Raum, auf der Suche nach irgendetwas, das ihm Sinn oder Zerstreuung bieten könnte. 

>>Sollte er an einem Gedicht schreiben? Lyrik in Zeiten des Verfalls oder so ähnlich?<< Doch alles, was er fand, waren leere Flaschen, halb verbrannte Kerzen und die hohle Stille, die ihm Gesellschaft leistete.

>>Als sich der Kolibri hinauswagt, vorbei an der Girlande,
Und Veilchen blühen in der Nacht, umgeben von Minze;
Im Schatten einer Platane, Stille.
Oder z.B. wie wir behutsam durch Nachtwärme gingen<<

Er schloss die Augen und versuchte, den dumpfen Klang des Tages auszublenden. Doch die Erinnerungen an die vergangene Nacht ließen sich nicht vertreiben. Sie hingen wie ein schwerer Nebel in seinem Kopf und umhüllten seine Gedanken mit einer undurchdringlichen Schwere.

Langsam erhob er sich von der zerfledderten Couch und schlurfte ins Badezimmer. Der Anblick im Spiegel war kein angenehmer. Seine Augenringe zeugten von schlaflosen Nächten, sein zerzaustes Haar und das bleiche Gesicht ließen ihn aussehen wie ein Schatten seiner selbst.

Ein leises Klopfen an der Tür durchbrach die Stille. Zögernd näherte er sich dem Lärm und öffnete die Tür einen Spalt. Vor ihm stand ein Nachbar, mit besorgtem Blick und einem Korb voller frischem Obst.

"Hey, ist alles in Ordnung?" fragte der Nachbar leise.

Er nickte müde und versuchte, ein schwaches Lächeln zu erzwingen. "Ja, danke. Nur eine lange Nacht gehabt."

Der Nachbar runzelte die Stirn, aber nickte verständnisvoll. "Nun, wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich hier. Und vielleicht solltest du etwas frische Luft schnappen. Es könnte dir guttun."

Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich und schloss die Tür hinter sich. Sein Blick fiel auf den Korb mit Obst, und für einen kurzen Moment spürte er einen Hauch von Dankbarkeit.

Vielleicht sollte er wirklich nach draußen gehen, dachte er. Vielleicht würde ihm die Frische der Luft helfen, den Nebel in seinem Kopf zu vertreiben und ein wenig Klarheit zu finden.  Was ist mit dem Wald? Im Wald fand er oft Ruhe, fernab vom Stadtlärm konnte er im Dickicht der Fichten und Tannen, der Laub und Nadelbäume, immergrün und jedesschwarz, entfernt von Menschen Moosgrün seiner Gedanken finden - sowie Flechte in einem alten Mantel.

Und so machte er sich auf den Weg zur Tür, bereit, dem ungeschriebenen Gesetz des guten Wetters nachzukommen, zumindest für einen Moment.

⁄Ende