Ich weiß gar nicht so richtig, wie ich anfangen soll. Wo ich beginnen soll, um in diesen Beitrag einzuführen. Denn es soll um Browser gehen. Jeder benutzt schließlich Browser. Das Netzleben spielt sich oft im Browser ab. Also ist es schon ein wichtiges Thema. Aber… ich plaudere stattdessen lieber noch etwas vor mich hin.
Fahren wir also fort. Ich beschäftige mich schon immer gern mit Alternativen. Alternativen zu allem möglichen. Als ich z.B. damals in der Hochzeit (wie hoch, nicht heiraten) der ersten Welle des Web 2.0 Webloggings einfach vom Platzhirsch Wordpress zu Ghost wechselte. Oder wie ich schon 2005 von x86 zu PPC und meinem ersten Mac wechselte (einen legendären Powermac G5 Dual) oder… wie ich schon seit Mitte der Neunziger mit DLD neben Windows ein Linux ausprobierte.
Und so installiere und teste ich auch heute gern noch hin und wieder unterschiedliche Betriebssysteme. Oder Hardware. Berufliche nutze ich Windows und macOS, privat ausschließlich macOS und Linux.
Auf jeden Fall habe ich aufgrund der Freude für Neues das Betriebssystem SerenityOS entdeckt, um dessen Erfinder es später in diesem Artikel noch gehen wird.

Und diese Vielfalt, aufgrund vieler verschiedene Möglichkeiten, im Sinne von jeder kann nutzen was er möchte, ist wichtig, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Natur, sie ist entscheidend für ein stabiles und florierendes Ökosystem und eine gerechte und innovative Gesellschaft. Aber bei Browsern gibt es gar keine Vielfalt mehr.
Chrome
Wenn man heute über Browser spricht, meint man fast immer Chrome – oder irgendetwas, das auf Chromium basiert. Das ist der offene Unterbau von Google Chrome, und auf dem fußen mittlerweile nicht nur Brave, Opera, Vivaldi oder Edge, sondern auch ein Großteil der weniger bekannten Alternativen. Selbst der besonders sichere Tor Browser denkt darüber nach, perspektivisch zu wechseln. Und damit haben wir eine faktische Monokultur.
Klar, die Namen klingen verschieden. Die Logos sind bunt. Aber unter der Haube? Dieselbe Engine: Blink, das Rendering- und Layoutsystem von Google. Wer heute eine Website baut, entwickelt in der Regel erst für Chrome – dann schaut man, ob es auch in Firefox läuft. Von Safari ganz zu schweigen – und von allem anderen erst recht.

Links im Schaubild sehen wir all die Browser, die technisch auf Googles Chromium-Engine basieren. Sie nutzen Blink, also den Rendering- und JavaScript-Motor, den Google entwickelt. Damit kontrolliert Google faktisch, wie das Web angezeigt wird – wie Seiten interpretiert, dargestellt und überhaupt verstanden werden. Ganz gleich, ob man Brave, Vivaldi oder Edge nutzt – es ist alles Blink, es ist alles Google.
Aber rechts im Schaubild – da wird’s paradox: Denn auch dort zahlt Google. Nicht wegen der Technik, sondern wegen der Standard-Suchmaschine. Google lässt es sich jährlich Milliarden kosten, auf Safari und Firefox als voreingestellte Suchmaschine zu erscheinen.
Im Fall von Firefox ist das besonders brisant: Über 85 % der Einnahmen der Mozilla Foundation stammen laut öffentlichen Finanzberichten (vgl. Mozilla Annual Report) aus dem Suchmaschinen-Deal mit Google. Kurz: Ohne Google gäbe es Firefox in seiner jetzigen Form wohl nicht mehr.
Apple bekommt ebenfalls einen Milliardenbetrag jährlich, damit Safari auf iPhones, iPads und Macs Google als Standard verwendet. Laut Schätzungen von Bernstein Research zahlte Google 2022 zwischen 15 und 20 Milliarden US-Dollar an Apple – pro Jahr – nur für diesen Platz im Safari-Suchfeld.
Und nun wird’s kritisch: Denn durch das EU-Digital Markets Act (DMA) gerät dieses Bezahlmodell ins Wanken. Die EU hat Google als sogenannten „Gatekeeper“ eingestuft. Damit gelten neue Regeln, die insbesondere vorinstallierte Standarddienste wie die Suchmaschine betreffen. Nutzer müssen ab sofort beim Einrichten ihres Geräts eine Auswahl verschiedener Suchmaschinen angeboten bekommen – und zwar gleichwertig. Das ist das sogenannte „Choice Screen“-Verfahren.
Was harmlos klingt, hat für Mozilla enorme Konsequenzen: Wenn künftig auf Android (und womöglich auch iOS) Google nicht mehr automatisch voreingestellt ist, werden viele Nutzer schlicht bei dem bleiben, was zufällig ausgewählt wurde – oder gleich etwas anderes antippen. Für Mozilla heißt das: Weniger Suchanfragen über Firefox, weniger Einnahmen, weniger Geld von Google. Und das, obwohl Firefox nie mehr gebraucht wurde als jetzt.
Mozilla selbst schreibt dazu in einer Stellungnahme vom März 2024:
„The current design of search choice screens implemented by Google under the DMA does not meet the objectives of the regulation. It does not create a fair and level playing field for alternative search engines – and risks harming independent browsers like Firefox.“
Mit anderen Worten: Der Versuch, Googles Marktmacht einzudämmen, könnte ausgerechnet Firefox treffen – die letzte unabhängige Browser-Engine (Gecko), die sich noch gegen Googles Technologiestandard stellt.
Man stelle sich das vor: Der Monopolist bezahlt seine eigene Konkurrenz – und wenn er das nicht mehr darf, stirbt die Konkurrenz.
Safari, das muss man dazusagen, ist da noch so ein kleiner Sonderfall. Apple kocht wie immer sein eigenes Süppchen – mit WebKit. Technisch gesehen ist WebKit sogar der Ursprung von Blink: Google hat WebKit 2013 abgespalten und daraus Blink gemacht. Und seither entwickeln sich beide Engines auseinander. Safari bleibt also ein bisschen das gallische Dorf im Browserwald.
Aber: Apple beschränkt WebKit im Alltag fast ausschließlich auf die eigenen Plattformen – und dort wiederum dürfen Drittanbieter-Browser auf iOS nur WebKit verwenden. Das heißt: Firefox oder Chrome auf dem iPhone sehen zwar anders aus, sind unter der Haube aber trotzdem Safari. Das ist keine echte Vielfalt, sondern eher ein Engine-Kostümwechsel. Und auf dem Mac ist Safari technisch solide, aber innovationsfreudig? Eher nicht. Viele moderne Webfeatures kommen dort oft spät oder gar nicht an.
Was bleibt also noch? Firefox. Mit der Gecko-Engine. Und das war’s dann auch schon. Ein echtes Gegenmodell – das einzige wirklich unabhängige Rendering- und JavaScript-System abseits von Googles Blink und Apples WebKit. Aber: Firefox ist klein. Die Marktanteile sinken. Und selbst Mozilla wird, ironischerweise, ausgerechnet von Google finanziert. Bis zu 90 % des Mozilla-Budgets stammen aus einem Deal, der Google zur Standardsuchmaschine im Firefox macht.
Was passiert, wenn Google diese Vereinbarung eines Tages beendet oder einfach keine Lust mehr auf „offene Webstandards“ hat? Was, wenn Google entscheidet, dass bestimmte APIs nur noch im eigenen Browser richtig funktionieren? Oder dass Datenschutz-Features in anderen Browsern plötzlich "nicht kompatibel" sind?
Man kann argumentieren: Der Markt hat entschieden. Chrome ist schnell, stabil, gut integriert. Aber das allein darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir als Gesellschaft (wieder mal) unsere digitale Infrastruktur in die Hände eines einzigen Konzerns gelegt haben – mit Apple als strenger Plattform-Wächter und Mozilla als Sponsor-Abhängigem. Und das ist gefährlich – für das offene Web, für Innovation, für unsere digitale Selbstbestimmung.
Ich finde es wichtig, sich das bewusst zu machen. Und selbst wenn man am Ende doch wieder bei Chrome oder einem Chromium-Ableger landet – wenigstens sollte man es nicht aus Gedankenlosigkeit tun. Sondern aus Abwägung. Denn Alternativen gibt es noch. Wenige. Aber sie verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Aber es gibt Hoffnung. Und zwar echte. Ladybird!
Denn während sich die großen Player immer weiter einigeln, immer mehr kontrollieren, da taucht plötzlich jemand auf, der all dem etwas entgegensetzt. Kein weiteres Chromium-Fork. Kein weiterer „auch irgendwie Firefox mit anderem UI“-Versuch. Sondern: ein von Grund auf neu entwickelter Browser. Komplett eigenständig. Komplett unabhängig. Komplett irre – und komplett notwendig.

Andreas Kling [^1] heißt der Mann dahinter. Ein ehemaliger Apple- und Nokia-Entwickler, der mit seinem Open-Source-Projekt SerenityOS schon ein eigenes Betriebssystem auf die Beine gestellt hat – samt Kernel, Shell, GUI und eben auch: einem eigenen Webbrowser. Aus genau diesem Browser ist Ladybird entstanden.
Und Ladybird ist etwas, das es im Jahr 2025 fast nicht mehr geben dürfte:
Ein Browser, der weder auf Chromium noch auf Gecko noch auf WebKit basiert. Alles ist neu: die Rendering-Engine, das Layout-System, das Netzwerk-Handling, sogar der JavaScript-Interpreter. Keine Altlasten. Keine milliardenschweren Interessenkonflikte. Keine Abhängigkeit von Google.
Was wie ein Forschungsprojekt klingt, ist längst Realität: Ladybird lädt Webseiten, interpretiert modernen JavaScript-Code, rendert CSS, arbeitet an WebGL- und WASM-Support – und das alles unter einem Team, das man (noch) an zwei Händen abzählen kann.
Andreas Kling hat dafür inzwischen die Ladybird Browser Initiative (Link) gegründet, um das Projekt langfristig tragfähig zu machen. Ziel ist nicht nur ein funktionierender Browser, sondern ein vollständiger Gegenentwurf: ein offener, transparenter, unabhängiger Zugang zum Web. Kein Konzern im Hintergrund. Kein Suchmaschinen-Deal. Keine versteckten Tracker. Nur: Code. Offen. Prüfbar. Frei. Leider steht in der aktuellen FAQ von Ladybird, dass kein Build für Windows geplant ist, sondern nur Linux und macOS bedient werden. Das finde ich kritisch, findet doch die Welt auf den Computern von Menschen mit Windows statt!
Wenn man sich all das vor Augen führt – die Chromium-Monokultur, die Safari-Sandbox, die Abhängigkeit von Google-Geldern bei Firefox – wird klar, wie dramatisch wichtig dieses Projekt ist. Ladybird ist keine Spielerei. Ladybird ist ein Befreiungsversuch. Und ja, das klingt pathetisch – aber vielleicht brauchen wir genau das.
Denn das offene Web, das freie Netz, die Idee von „Jeder darf bauen, was er will, und jeder darf schauen, wie er will“ – das stirbt nicht an Verboten, sondern an Gleichgültigkeit. An Bequemlichkeit. An „wird schon passen“.
Ladybird stemmt sich dagegen. Und wir müssen das unterstützen. Mit Aufmerksamkeit, mit Tests, mit Feedback – oder wenn möglich: mit Spenden. Denn wir brauchen eigentlich genau jetzt wieder einen richtig guten neuen Browser. Einen, der nicht bloß eine Maske ist, sondern ein echtes Fenster.
So wie auch die Weblogs, nein, so wie auch die Menschen ihre Inhalte wieder auf ihre Websites, in ihre Blogs stecken und nicht alles in Social Media Silos verenden lassen, wie das auf TikTok, Instagram und Facebook passiert.
Wir brauchen ein freies Web. Wir brauchen freie Software. Wir brauchen Vielfalt!
Frequently Asked Questions - Ladybird
When is it coming?
We are targeting Summer 2026 for a first Alpha version on Linux and macOS. This will be aimed at developers and early adopters.
How many people are working on the browser today?
We currently have 7 paid full-time engineers working on Ladybird. There is also a large community of volunteer contributors.
Will Ladybird work on Windows?
We don't have anyone actively working on Windows support, and there are considerable changes required to make it work well outside a Unix-like environment.
We would like to do Windows eventually, but it's not a priority at the moment.
Fußnote:
[^1] Andreas Kling ist ein spannender Charakter. Er hat angefangen ein komplett eigenes Betriebssystem, SerenityOS, zu programmieren, als er sich von einer schweren Suchtkrankheit erholte. Dabei entstand auch Ladybird.