Die traurige Geschichte der Karen Carpenter
Stimme zwischen Licht und Schatten
Als die Nadel heute morgen auf meine alte „Best Of Singles“-Schallplatte der Carpenters traf, erwachte eine Legende: Karens samtenes Contralto, das Millionen verzauberte. Doch hinter Hits wie „Close to You“ und „Top of the World“ verbirgt sich eine Tragödie, die bis heute nachhallt. Draußen klopfte Regen an die Tür zum herbstlichen Sommer und auch ich war in einer grauen Stimmung. Grund genug sich ein wenig mit Karen zu beschäftigen.
Rainy Days And MondaysLink zum Song
Always Gets Me Down
höre ich Sie da singen. Das passt. Was für eine Band. Lange vor meiner Zeit. Krass irgendwie - und etwas seltsam. Wieso berührt mich der alte Kram? Weil es dafür keine Blaupause gibt! Es gibt keine Schieblehre "Dies hier, das berührt ihn, das dort nicht". Natürlich gibt es Vorzüge gegenüber Musikrichtungen, Interpreten und anderen Dingen - aber die Carpenters. Es ist mal wieder so eine Mischung aus Bewunderung für den Erfolg und ein gewisses "Oh mein Gott" für ihr Schicksal. Wie bei vielen. Joy Division fallen mir da spontan ein. Tragic Heros. Ich fühle sie. Ich sehe das nicht amüsierend oder gar zeitvertreibend. Ich verstehe die Schwere die sie trugen. Tragen. Ertrugen. Und oft daran zerbrachen. Ich habe dann eine Verbindung.
Karen war nie nur die Sängerin. Ihr Weg begann am Schlagzeug – mit 17 beherrschte sie komplexe Jazzrhythmen wie Dave Brubecks „Take Five“. Doch die Plattenfirma drängte die zierliche Musikerin (nur 1,63 m) nach vorn: „Das Publikum sieht dich nicht hinter den Trommeln.“ Widerstrebend tauschte sie die Sticks gegen ein Mikrofon. Ihr tiefes Timbre nannte sie später selbstironisch „The money’s in the basement“.

Viel ist über die Carpenters schon geschrieben worden, über dieses kongeniale Geschwisterpaar. Richard lebt noch. Er müsste mittlerweile fast 80 Jahre alt sein. Perfektion prägte die Musik der Carpenters – und Karens Leben. 1973, auf dem Höhepunkt des Ruhms, traf ein Konzertfoto sie ins Mark: „Ich wirke so dick“, soll sie geflüstert haben, dabei wog sie gerade einmal 54 kg. Dieser Moment entfesselte einen Albtraum. Sie begann, Kalorien zu zählen, Essen auf den Tellern ihrer Familie zu verteilen („Probier doch mal!“) und schließlich zu Abführmitteln zu greifen.
Ihr Kampf war ein stiller. Während Richard die Arrangements perfektionierte, hungerte Karen um ihr Leben. 1975 wog sie nur noch 41 kg – ein erster Klinikaufenthalt folgte. Ihre Mutter Agnes, die stets den Bruder bevorzugt hatte, verstand die Krankheit nicht: „Iss einfach.“ Doch Magersucht war mehr als eine Diät. Biografen deuten sie als Schrei nach Kontrolle in einer Welt, die Karen als „Richards Schwester“ reduzierte.
Im Juni 1981 veröffentlichten Karen und Richard ihr zehntes Studioalbum „Made In America“ und gingen auf Welttournee, um es mit Auftritten in Brasilien, Deutschland und Japan zu promoten. Im November desselben Jahres kehrten sie und Richard nach Kalifornien zurück. Karen und ihr Ehemann Tom Burris trennten sich im selben Monat offiziell. Kurz nach Weihnachten zog Karen nach New York, um eine Behandlung gegen ihre Magersucht zu beginnen. Sie suchte Hilfe bei dem Psychotherapeuten Steven Levenkron, der für seine Forschungen zu Anorexia nervosa und Selbstverletzung bekannt war.
Im April 1982 nahm sie sich zwei Wochen Urlaub von ihrer Behandlung und kehrte nach Kalifornien zurück. Sie und Richard gingen erneut ins Studio und nahmen mehrere Songs auf. Zum Zeitpunkt der Aufnahme litt Karen unter schwerer Magersucht. Richard sagt, sie habe seit dem letzten Treffen im Jahr zuvor noch mehr Gewicht verloren. Am 25. April 1982, Karens letzter Aufnahmesession, nahm sie gemeinsam mit Richard, Joe Osborn und Ron Tutt (Klavier, Bass und Schlagzeug) die ersten Instrumentalstücke für „Now“ in Studio D auf. Dabei sang sie die Melodie einmal von Anfang bis Ende, was Richard als „eine makellose Darbietung eines wunderschönen Songs“ bezeichnete. Ihre Stimme wurde nie wieder aufgenommen. Doch der Körper hatte zu lange gelitten.
Link zum SongAm 4. Februar 1983 brach sie im Elternhaus zusammen. Ihr Herz schlug nur noch einmal alle zehn Sekunden. Die Autopsie enthüllte das Unfassbare: Ihr Tod mit 32 Jahren wurde durch eine Emetin-Vergiftung verursacht – ausgelöst durch jahrelangen Missbrauch des Brechmittels Ipecac.

Ihr Vermächtnis? Deutlich mehr als nur die Reduzierung auf die großartigen Grammy Awards! Karens Schicksal riss Essstörungen aus dem Tabu. Plötzlich sprachen Medien von „Anorexia nervosa“, Kliniken entwickelten Therapien, Ipecac wurde rezeptpflichtig. Und doch bleibt ihr größtes Denkmal jene Stimme auf meiner alten Schallplatte: warm wie Samt, zart wie Porzellan – und ewig jung.
„Wir haben gerade erst begonnen“, sang sie 1970. Dass sie nur 13 Jahre blieben, macht jedes ihrer Lieder zu einem Abschiedsgeschenk.
Karen Carpenter wurde nur 32 Jahre alt.
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